Über Werte

Kann man den Wert von Werten eigentlich überbewerten? Oder auch unterbewerten? Haben wertvolle Dinge einen Wert? Und wenn ja, welchen? Fragen über Fragen, die mir schon seit einiger Zeit durch den Kopf schwirren, und die ich in der geruhsamen Weihnachtszeit endlich mal zu Blog bringen kann. Dabei hat das mit dem Fest wirklich nur insofern zu tun, als dass es die Möglichkeit der Muße für philosophische Betrachtungen liefert. Andere Zusammenhänge wären an den Haaren herbei gezogen.

Die Frage, die im Raum steht, ist die nach der Existenz objektiver Werte. Gibt es sie eigentlich oder gibt es sie nicht? Die genauso einfache wie ernüchternde, aber sicher auch erläuterungsbedürftige Antwort lautet: Nein. Nichts hat wirklich objektiven Wert, egal, ob materiell oder ideell. Alle Werte haben einen zutiefst (gruppen-)subjektiven Charakter. Es gibt sie nur, weil sich eine maßgebliche Zahl von Menschen darauf geeinigt hat, dass sie etwas wert sind. Es ist eine Überlegung wert – ein kleines Gedankenexperiment – sich vorzustellen, wenn es zu einer Gruppe von Wertbildnern eine entsprechend maßgebliche Gegengruppe gäbe.

Beginnen wir beim naheliegendsten: Gold (gern auch Platin oder in Gold gepresstes Latinum). Große Teile der terralen Bevölkerung hat sich darauf geeinigt, dass Gold wertvoll ist. Ein paar seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften sprechen dafür: sein glänzendes Aussehen, seine hervorragende Leitfähigkeit, seine Eigenschaft, feine Drähte oder Folien bilden zu können, seine Korrosionsfestigkeit usw. Es geht eben eine große Faszination von dem Material aus. Aber sein Marktwert beruhig eben auch nur im wesentlichen darauf, dass es schick anzusehen ist und es die Leute für wertvoll halten. Sicher gibt es auch einen gewissen Marktwert, da Gold auch in der Schmuckherstellung und in der Mikroelektronik genutzt und gebraucht wird. Aber sonst? Wenn man sich überlegt, dass die Goldreserven diverser Staaten nur deswegen einen Wert haben, weil sich die Menschen darauf geeinigt haben, dass sie wertvoll sind, da kann einem schon etwas schwindlig werden. Man stelle sich mal vor, eine maßgebliche Zahl von Ländern sagt eines Tages: “Nö. Jetzt nehmen wir mal ein anderes der über 100 Elemente des Periodensystems und hängen da unsere Währungen dran.” Auswahl gäbe es genug.

Diamanten, Perlen, Stoffe und andere “Wertgegenstände” teilen das Schicksal von Gold. Sie mögen selten oder schwer zu bekommen sein, faszinierend in ihren Eigenschaften oder ihrem Aussehen. Aber allen zu eigen ist, dass sie wertfrei werden, sobald man ihnen nicht mehr einen entsprechenden Respekt entgegenbringt.

Ein zweites großes Feld ist der Kunstbetrieb. Gerade hier sieht man den gruppensubjektiven Charakter von Werten besonders schön. Warum haben Kunstwerke überhaupt einen Wert? Doch nur, weil sich eine Reihe von Leuten einig sind, dass irgendwas Kunst ist und dann den Preis als Maß für den Marktwert nach oben trieben können. Aber bei so manchem millionenschweren Bild hat schon der eine oder andere davor gestanden und gemeint: Soviel würde ich dafür nicht ausgeben. Und genau das ist die wichtige Erkenntnis. Jedes irgendwie zusammengedübeltes Kunstwerk wird sehr schnell wertfrei, wenn sich nur genug Leute finden, die es nicht für Kunst halten. Damit will ich nicht die (handwerklichen) Fähigkeiten der entsprechendes Schaffenden in Mißkredit bringen. Im Gegenteil; es sind großartige Meisterwerke entstanden. Aber haben sie wirklich einen Wert?

Nach dem schnöden Materialismus sind vielleicht die ideellen Werte doch ihren Namen wert. Anstand, Moral, Sitte, Ethik und wie sie alle heißen. Bei genauerer (historischer) Betrachtung stellt man allerdings sehr schnell fest, dass diese Werte noch schneller wechselnden Moden unterworfen sind als mancher ihrer  materiellen Pedants. Der aktuelle Humanegoismus, der die jetzige Situation als erreichbares Optimum und Maß aller Dinge ansieht, wird feststellen, dass in der Geschichte Dinge und Verhaltensweisen in ihrer Zeit üblich und normal waren, vor denen wir uns heute mit Abscheu abwenden. Aber wer sagt uns denn, dass wir es jetzt richtig machen? Wer weiß, wie unsere Bewertung aussehen wird, wenn in 200, 500 oder tausend Jahren auf uns zurückgeblickt wird?

Im Kleinen wie im Großen scheitert eine objektive Wertvorstellung auch bei den ideellen Werten. Gerade auch die Gruppensubjektivität zeigt sich hier sehr klar. Man nehme nur einfach mal zwei Cliquen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Orte und unterschiedlicher Umfelder und schon werden sie auch unterschiedliche ideelle Wertesystem haben. Allgemein gültige Objektivität ist da Fehlanzeige.

Was bringt es jetzt zu wissen, dass eigentlich nichts einen wirklichen Wert hat? Man wird gelassener. Und die Betrachtung der Umgebung wird heiterer, um nicht zu sagen: amüsanter. Wer die klassischen Muppetshows kennt (der neue Film kommt am 19.01.2012 ins Kino) kennt auch die beiden Alten in ihrer Loge: Waldorf und Stadler. Ihre Position, übertragen auf das wahre Leben, sorgt für Spaß dortselbst. Man kann die anderen bei ihrer Wertschöpfung beobachten, das ganze für sich oder für die Öffentlichkeit kommentieren und hat Spaß dabei.