Inkonsequentitäten

Dieses hervorragende Osterwetter in diesem Jahr lässt Freiräume für das Schweifen lassen der Gedanken. Eigentlich brach in in unsere schöne Gegend auf, um vielleicht ein paar schöne Frühlingsbilder fotografisch zu erstellen, allein: Die Natur ist noch nicht soweit. So blieb mir beim Fahren ein Quentchen Gripskastenleistung übrig, um einige Gedanken zu ordnen, die mich in der letzten Zeit überfallen hatten.

Zum einen erreichten mich rückblickend einige Äußerungen zum Thema Vegetarismus, vor allem aus ökologischen Gründen, zum anderen tauchte in meinem Gesichtskreis die Slow-Food-Bewegung, wenn auch nur medial unterstützt, auf. Und natürlich schwebt mir Frank immer noch im Hinterkopf rum, mein Ernährungsberater, der zumindest meiner gravitativen Entwicklung Einhalt und Umkehr zur lockerer Leichtigkeit verordnet und faktisch untersetzt hatte.

Dabei stellte sich mir die Frage, ob es vegetarische Slow-Food-Anhänger gibt. Die Slow-Food-Bewegung – in Deutschland natürlich ein e.V., Ordnung muss sein – setzt sich für gute, saubere und faire Lebensmittel ein. In einem Flyer (PDF) gibt es nähere Infos. Die drei Grundprinzipien sind

  • wohlschmeckende Lebensmittel, die alle Sinne ansprechen und Teil der lokalen Kultur sind
  • Lebensmittel, die in Harmonie mit Natur und Umwelt erzeugt und ohne Zusatzstoffe verarbeitet sind
  • Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen und zu fairen Bedingungen für die Erzeuger.

Wer einen Moment darüber nachdenkt, wird schnell feststellen, dass hier einiges über den Bio-Begriff hinaus geht. Wichtig finde ich unter anderem den regionalen Bezug der Lebensmittel, was vor allem auch kurze Transportwege u.ä. einschließt.

Der Vegetarier an sich ist ja doch auch ein Mensch wie jeder andere, das bezieht sich vor allem auch auf seinen Nährstoffbedarf. Über mögliche Mangelernährung durch vegetarische Kost gibt es im Internet sicher die verschiedensten Abhandlungen, einige Vitamine sind, wenn man sich nicht auskennt, schlecht über pflanzliche Nahrungsmittel erschließbar, vor allem, wenn man, wie ich, in Orientierung an den Slow-Food-Grundprinzipien (künstliche) Nahrungsmittelergänzungen von vornherein ausschließt.

Unter diesem Gesichtspunkt braucht man sich aber gar nicht so sehr ins Detail verlieren; es reicht, sich auf die Grundnahrungsbestandteile zu konzentrieren: Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate. Diese braucht jeder Körper, ohne sie werden selbst Vitamine, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe sinnlos. Während Fett und Kohlenhydrate vorwiegend der Energieerzeugung dienen und sich ggf. auch gegenseitig ersetzen können, wird es beim Eiweiß spannend, da es Grundbestandteil des Lebens ist und nicht durch die anderen beiden ersetzt werden kann.

Genau hier liegt jetzt der Knackpunkt zu den Slow-Food-Prinzipien, vor allem der regionalen Erzeugung von Lebensmitteln. Pflanzliche Eiweißträger sind in der hiesigen Kultur selten. Namhafte Quellen sind vor allem die Hülsenfrüchte, also Bohnen, Erbsen, Linsen. Gerade letztere sind, was ihre Eiweißbestandteile betrifft, für die menschliche Ernährung so wertvoll, dass, wie ich mal von kundiger Stelle gehört habe, man lieber ab und zu eine Dose Linseneintopf essen sollte, als ganz auf dieses Gemüse zu verzichten.

Das Allheilmittel Sojabohne fällt unter dem verschärften ökologischen Blickwinkel aus der Betrachtung raus. Zwar wird es mittlerweile auch in Deutschland angebaut, ich befürchte aber, dass damit eine umfassende Versorgung nicht möglich ist. Unser Klima spricht dagegen. Dafür werden dann gern mal in Brasilien Urwälder abgeholzt, um massiv (Gen-)Soja anzubauen. Umweltverschmutzungen durch den Transport usw. kommen hinzu. Ich weiß nicht, ob diese ökologischen Katastrophen akzeptierbar sind für Leute, die wegen des Tierschutzes auf etwas verzichten.

Ob dieser Verzicht Tierschutz bringt oder nicht andererseits das Leid verschärft, ist wohl noch nicht hinreichend untersucht. Ob nicht die Förderung artgerechter Aufzucht und Hege von Nutztieren mit allen Konsequenzen die bessere Alternative ist, ist sicher auch nicht belegt, liegt gedanklich aber nahe. Und ob die Umerziehung fleischfressender Haustiere zu Vegetariern/Veganern einfach nur Tierquälerei oder doch nur pervers ist, wird irgendwann die Natur entscheiden, die als einzige für sowas zuständig ist. Irgendwo habe ich mich darüber schon mal ausgelassen.

Vegetarismus ist nur in einer globalisierten Welt sinnvoll möglich, was ihren Sinn (genau wie den der Globalisierung)  anzweifeln lässt. Gerade, was eine wirklich gesunde und natürliche Ernährung betrifft, die regional verankert ist und sich an der Umgebung des Menschen orientiert, greift der Vegetarismus zu kurz und ist mit anderen wirklich sinnvollen Modellen wie zum Beispiel der Slow-Food-Bewegung oder einer nährstoffgerechten Ernährung schwer vereinbar. Ob das Leben als Vegetarier wirklich gegen die verabscheuungswürdige Massentierhaltung hilft, darf bezweifelt werden, fördert es nicht die wirklichen Alternativen. Außerdem ist der mitteleuropäische Vegetarier ein Ergebnis der Luxusgesellschaft; er sollte sich auch ständig vor Augen halten, dass er ohne den Fleischverzehr seiner Vorfahren noch immer auf dem Baum im Urwald sitzen würde.

P.S.: Gibt es eigentlich eine Vegetariergruppierung bei der grönländischen Landbevölkerung. Das würde mich mal interessieren.