Mit dem Gedanken, einen Artikel zu dieser Fragestellung zu schreiben, gehe ich schon länger schwanger. Ein nicht veröffentlichter/-barer Entwurf schlummert schon seit Ende 2009 hier in der Datenbank, bisher fehlte mir aber der schlüssige Aufhänger und eine Idee, wie ich den Artikel anlegen soll. Die Entscheidung wurde mir jetzt erfreulicherweise aus der Hand genommen, veröffentlichte doch eine bekannte Tageszeitung ein Interview mit niemand geringerem als dem Gründer und Vorsitzenden der veganen gesellschaft deutschland Christian Vagedes.
Zwei oder drei grundsätzliche Gedanken möchte ich voranstellen. Die Reihenfolge stellt aber keine Wertung dar.
Der Mensch ist, biologisch gesehen, ein Allesfresser; es gibt sogar welche, die meinen, wir wären Aasfresser. So weit würde ich nicht gehen wollen. Allesfresser zu sein heißt, bestimmte Nahrungsquellen auszuschließen, wäre keine artgerechte Ernährung.
Massentierhaltung, wie sie leider zur Erzeugung von Fleisch heutzutage üblich ist, gehört durch eine artgerechte, naturnahe Aufzucht ersetzt. Dagegen zu kämpfen ist wichtig, die Nutzung von Bio-Ware ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Er sollte zumindest dadurch ergänzt werden (gerade auch bei Fleischprodukten) auf regionale Erzeuger zu achten.
Naturnah sollte auch die Ernährung des Menschen sein, verarbeitete Nahrungsmittel sind, so weit es geht, zu vermeiden; (meist) industriell hergestellte hochverarbeitete Nahrungsmittel gehören definitiv nicht in den Menschen.
Nun aber zu den Äußerungen im oben genannten „Streitgespräch“.
… und Menschen hungern, weil wir die falsche Ernährung haben.
Das ist wohl das kleinere Problem, vor allem, wenn man bedenkt, dass zwischen dem Erzeuger und dem Endverbraucher in Europa etwa die Hälfte aller Lebensmittel auf dem Müll landen. Nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil sie unter anderem zu viel produziert wurden. Ein Indiz für die Aussage: hier.
Wir haben die Alternativen schon da, leckere Würstchen aus Weizen, aus Tofu, sogar aus Lupinen …
… eine protein- und eiweißreiche Hülsenfrucht …
… da kann man sich dran gewöhnen.
…
In den USA gibt es sogar Turkey in vegan für Thanksgiving. Wir müssen die kulturellen Codes nicht aufgeben, wir müssen sie nur veganisieren.
Wie pervers ist das denn? Industrielle Nachahmerprodukte als besondere Delikatessen herauszustellen, das hat nichts mit einer natürlichen Ernährung zu tun. Wenn sich die Menschen vegan ernähren möchten, ist das ihre Entscheidung. Vegane Fleischdummys in die Ernährung zu integrieren, heißt aber, sich selber etwas vor zu machen. Außerdem wird die Lebensmittelindustrie unnötigerweise unterstützt, ist es doch manchmal nicht nachvollziehbar, was in diesen Fleischsimulantien alles drin ist, um den Versuch unternehmen zu können, dem Original zu entsprechen. Das ist Ressourcenverschwendung und Verbrauchertäuschung. Man könnte den Eindruck gewinnen, entsprechende sojabohnenverarbeitende Industrien fördern das Veganertum, um ihre Produkte los zu werden. Entsprechende Vorwürfe („Von der Halbzeitvegetarier-Kampagne geht das falsche Signal aus. Ich weiß nicht, ob sich Frau Rimpler (Teilnehmerin des Streitgesprächs – DirkNB) darüber bewusst ist, dass die Flexitarier-Bewegung (Flexitarier = Halbzeitvegetarier – DirkNB) in den USA von den Lobbyisten der Fleischindustrie unterstützt wird.“) werden auch in Gegenrichtung kolportiert.
Jeder, der tierische Produkte isst, hat eine Mitverantwortung für das Leiden dieser Lebewesen.
Provokant gefragt: Wer sagt uns eigentlich, dass Pflanzen die niederen Lebewesen sind, um sie eher als Nahrungsgrundlage zu definieren als Tiere? Die Erkenntnis ist in der Wissenschaft zur Zeit Mode, aber es gab Zeiten, da war es auch Mode, sich die Erde als Scheibe vorzustellen. Es gibt Hinweise, dass der Menschenaffe seine Entwicklung zum Menschen damit eingeleitet hat, dass er Fleisch zu sich nahm. Einen weiteren Sprung in der geistigen Entwicklung unternahm der Mensch wohl, als er anfing, das Fleisch nicht mehr roh in sich hinein zu stopfen, sondern es über offenem Feuer zu garen. Ist es nicht erstaunlich, dass erst der Fleischgenuss solche Geistesleistungen wie das Veganertum möglich gemacht hat.
Im Moment gibt es immer mehr Menschen, die von heute auf morgen vegan werden …
Ein Modell, dessen schnellstmögliche Umsetzung für viele sendungsbewusste Veganer das wichtigste Ziel ist. Wie bei vielen Zielsetzungen kann man sich auch hier mal vorstellen, was passieren würde, wenn das Ziel kurz vor dem Erreichen wäre. Stellen wir uns also vor, 95% der Menschheit lebten ab morgen vegan, natürlich den Tieren zuliebe. Was passiert dann aber mit den Nutztieren, die auch gern mal in einschlägigen Kreisen als Ausnutztiere bezeichnet werden? Seit Jahrhunderten sind diese Tiere daraufhin gezüchtet worden, dem Menschen als Nahrungsgrundlage zu dienen. Einfach frei lassen geht nicht, sie sind auf die Betreuung durch den Menschen angewiesen. Kühe, Schafe, Ziegen müssen trotzdem gemolken werden. Schweine, Hühner, Enten müssen trotzdem gepflegt werden. Wer macht das? Und vor allem: Wer bezahlt das? Der Wirtschaftskreislauf ist durch den nicht mehr möglichen Verkauf der Produkte zerstört. Soll das auch der Staat übernehmen? Und die trotz fehlender Nachfrage erzeugten Lebensmittel wie Milch, Honig, Eier sollen einfach weggeschmissen werden? Wer zahlt die Entsorgung? Irgendwann stirbt natürlich jedes Nutztier mal von allein. Auch hier stellt sich die Frage der Entsorgung, aber nicht nur. Wichtiger wäre die Frage, wo die natürlichen Düngemittel (Mist, Dung, Jauche) dann herkommen sollen? Einen Anteil wird der Kompost und die menschliche Ausscheidung leisten, aber reicht das? Oder soll hier wieder auf künstliche (industrielle) Produkte zurückgegriffen werden?
Wir Veganer leiden ja nicht, wir begeistern uns daran.
Das erinnert mich ein wenig an Masochisten. Die lassen sich auch gern quälen und Schmerzen zufügen, aber es erregt sie und sie ziehen ihren Lustgewinn daraus. Das zu einem Massenmodell zu machen, heißt, es zu übertreiben.
Tierisches Protein ist nicht gesund, sondern ein Gesundheitsrisiko.
Eine schöne Aussage, aber verbindliche Nachweise fehlen. Das liegt aber vor allem an der Ernährungswissenschaft an sich. Solange keiner weiß, wie die menschliche Verdauung im Komplex mit dem ganzen Körper überhaupt und bis ins letzte Detail funktioniert, sind Schlussfolgerungen immer fragwürdig. Statistische Studien gibt es mannigfaltig. So las ich neulich von einer, die zeigte, dass Fleischgenuss keinen Einfluss auf Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen hat, der Verzehr von Wurst (= verarbeitetes Produkt) aber schon. Ob die Pökelsalze ihren Anteil daran haben, steht nicht fest.
Ein anderes schönes Beispiel ist das Schweinefett. Beinahe nichts gilt als ungesünder, was für die industriellen Mastschweine wohl auch gilt. Untersuchungen sollen aber gezeigt haben, dass der Speck naturnah aufgezogener Schweine ob seines Gehaltes an ungesättigten Fettsäuren beinahe genauso wertvoll ist wie kaltgepresstes Oliven- oder Rapsöl.
Es gibt gesellschaftliche Probleme, die auch dem Veganertum als Basis und Begründung dienen, mit denen wir uns dringend auseinander setzen müssen. Das Stichwort „Massentierhaltung“ ist gefallen, die Lebensmittelverschwendung gehört auch dazu. Aber wenn mir der Fuß weh tut, dann prüfe ich den Schuh, suche mir ggf. einen neuen, hacke mir aber nicht den Fuß ab.