… und alle so – Ooooohhh.

Man kann gar nicht so viele Krägen anziehen, wie sie einem manchmal platzen könnten. Zur Zeit ist es mal wieder besonders schlimm. So viel geheuchelte Betroffenheit, so viel falsche Trauer, so viel simulierte Anteilnahme. Das wirklich schlimme daran ist, dass es nicht nur die Politiker sind, die da mitheulen. Was erstaunt ist das massenmediale journalistische Einheitsgeheule. Und dann die Derrick-Frage: Was haben sie am 11.09.2001 gemacht? Das wissen Sie doch noch! Alle wissen das! Alle wissen, was sie am 11.09.2001 gemacht haben!!! Alle!!!! Entschuldigt den rüden Ton, aber es kotzt mich an!

Grundsätzlich: Die Ereignisse des 11. September 2011 waren schlimm und sind durch nichts zu entschuldigen. Jedes einzelne der 3000 Opfer ist eins zu viel. Die Trauer der Hinterbliebenen wird sicher mit der Zeit milder, aber sicher nie aufhören. Mein Mitgefühl ist ihnen sicher. Die Verantwortlichen für die Anschläge gehören zur Rechenschaft gezogen. Gedacht werden soll auch an die Überlebenden, die zwar ihr Leben behalten, aber ihre Gesundheit und/oder ihre Unversehrtheit verloren haben.

Mindestens drei Nachrichtensendungen habe ich mir nicht angesehen, weil sie mit dem Gedanken anfingen: Wissen Sie noch, was Sie am 11. September 2001 getan haben? Fragen Sie die Leute! Alle wissen das noch. (Gibt es eigentlich nur einen Autor für Nachrichten in Deutschland?) Hinzu kommt die kommerzielle Ausschlachtung des Themas in Filmen und Dokumentationen. So ein wenig wundert es mich, dass keine Staatstrauer ausgerufen wird. Vermutlich wird das nicht getan, weil das Arbeitsplätze gefährdet in der Gastronomie, in Diskotheken und anderen Vergnügungsstätten, da dann Einnahmen bringende Feierlichkeiten nicht stattfinden dürften.

Wo bleiben eigentlich die großen medialen Betroffenheitssendungen für die Ereignisse, die mehr Opfer fordern? Wieviele Opfer forderte das militärische Eingreifen der NATO in Libyen? Wie viele Opfer gab es in den beiden Irak-Kriegen? Wieviele Menschen verhungern zur Zeit in Ostafrika? Wieviele Menschen sterben allein in Chicago in einem Jahr durch Schusswaffengebrauch? Der Verdacht liegt nahe, dass nur die Ereignisse Zugriff auf unsere Tränendrüsen haben, die auch medial gut rüberkommen. So ein verhungernder Schwarzafrikaner, bis der so tot ist, das dauert. Die fallen ja auch nicht alle gleichzeitig um. Aber zwei Hochhäuser, in die zwei Flugzeuge fliegen? Das kracht, dass bumst, das scheppert, da gibt es eindrucksvolle Bilder. Und das Ereignis ist zeitlich fassbar; die wesentlichen Teile finden in dem Zeitrahmen statt, den der Mensch auch zum Anschauen eines Spielfilms verwenden würde.

Die Verbindung ist sicherlich an den Haaren herbei gezogen, aber es gibt ein kleineres Ereignis jedes Jahr, über das man in solchem Umfeld auch gern mal nachdenken kann. Auch in diesem Fall gilt die ernst gemeinte Anteilnahme den Opfern und Hinterbliebenen. Es geht hier nur um die mediale Aufarbeitung. Rund um das Jahr 2002 herum gab es weltweit etwa genauso viele Tote durch AIDS wie durch Durchfallerkrankungen. Spendengalas habe ich meiner Erinnerung nach nicht gesehen; eine braune Schleife hat auch noch niemand getragen.

Lernen vom großen Bruder

In der Neuen Zürcher Zeitung Online gab es am 23. Juni einen schönen Artikel: “Kalifornische Kleinstadt stellt ihren Betrieb ein -Zu hohes Defizit”. Dabei handelt es sich um die Gemeinde Maywood in der Nähe von Los Angeles. Die Stadt entlässt alle angestellten und bittet benachbarte Gemeinden, Sicherheits- und Verwaltungsdienstleistungen für ihre Bürger zu übernehmen.

Die Gemeinde hat 30’000 Einwohner und ein Defizit von 450’000 Dollar.  Das sind umgerechnet 366’000 Euro. Oder hoch gerechnet auf eine Gemeindegröße wie Neubrandenburg knapp 770’000 Euro bei gleicher Pro-Kopf-Verschuldung.

Die USA sind doch schon immer ein großes Vorbild für Deutschland gewesen …

Mit wievielen Euro war doch gleich Neubrandenburg verschuldet?