Periscope zeigt nicht die Wahrheit

Der neue heiße Scheiß aus dem Hause Twitter scheint zur Zeit ein Dienst namens “Periscope” zu sein. Twitterer mit Kamera am Smartphone können bei Live-Videostream das abbilden, was sich ihnen bietet. Wobei, die neu ist das auch nicht mehr, angeblich gibt es das ja schon seit März.

In einem Stern-Online-Interview mit dem Periscope-Chef fallen ein paar Sätze, die man eigentlich nicht unkommentiert stehen lassen kann.

“Persicope ist ein Werkzeug für die Wahrheit.”

Aber wir versuchen, jedem Nutzer eine Supermacht zu geben, nämlich die Supermacht, sehen zu können, was in diesem Moment in der Welt geschieht – durch den Blick von anderen Menschen.

Periscope-Chef Kayvon Beykpour bei Stern-Online

Eben. “Durch den Blick von anderen Menschen.” Manchmal muss man eben genau lesen. Was heißt das nämlich? Ganz einfach: Auch bei Periscope sieht man nicht die Wahrheit, sondern den subjektiven Blick eines anderen Menschen, den man sogar noch beeinflussen kann.

Man kann auch mit Periscope nie die Wahrheit sehen, man sieht immer nur einen Ausschnitt! Als Werkzeug der Wahrheit wird der Dienst damit von seinen Machern maßlos überschätzt. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache.

Rekursives Menschenrecht

Der Artikel 5 unserer aktuellen Verfassung namens Grundgesetz befasst sich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und und zementiert sie fest in unserer Gesellschaft. Watt’n Glück.

Dabei geht es darum, das jeder seine und nicht jeder eine Meinung frei äußern kann. Sobald also zwei Leute aufeinander treffen, kann es auch zwei Meinungen geben, die sich diametral gegenüber stehen.

A hat also eine Meinung und B auch, aber eine andere. Wenn A seine eigene äußert, kann B seine dagegen stellen, wogegen dann aber wieder A seine stellt und B dann wieder seine. Usw. Usf.

Zur Beachtung: Keine Meinung sollte so fest sein, als dass sie sich nicht auch durch gute Argumente bewegen lässt. Dieses “bewegen” nennt man auch “denken”.

Voltaire soll einmal gesagt haben: “Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.”

Zuviele sollten aber auch nicht einer Meinung sein. Dazu meinte Heiner Müller einmal: “Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche.”

Womit sich der Begriff “Schwarmintelligenz” als allgemeinum für den Menschen verbietet. Es mag bewusst herbeigeführte Zustände geben, wo das nicht so ist, aber im unbewussten System ohne Energiezufuhr gilt eben der 2. Satz der Thermodynamik, nachdem sich das Maß des Chaos von allein immer nur vergrößert.

Und wer letztendlich Recht hat, das muss der Beobachter aus seinem Blickwinkel unter Berücksichtigung der Folgen entscheiden. Wer in diesem Moment Recht hat, ist jetzt nicht zu entscheiden.

Kohl klärt auf

Manchmal sind es die Nebensätze oder beiläufig gemachte Bemerkungen, die die ganze Wahrheit über das System blitzlichtartig erhellen. Schaut man sich Nachrichten und aktuelle Berichte an, ist es gar nicht mal so uninteressant, auf diese zu hören. Ein anderes Thema in dem Zusammenhang wäre das Hinterfragen von als selbstverständlich hingestellten Voraussetzungen, aber dazu später mal etwas mehr.

ARD-Börsenberichterstatterin Anja Kohl erklärt heute dem erstaunten Zuschauer, was stabile Preise aus dem Blickwinkel der Europäischen Zentralbank in Bezug auf eine Inflation sind. Als naiver Steuerzahler würde man vermuten, dass stabile Preise ein Nichtvorhandensein von Teuerung unterstellt, also eine Inflationsrate von 0% im Mittel. Das stimmt mitnichten.

Laut Definition der EZB spricht man von “stabilen Preisen”, wenn die Inflationsrate bei 2% liegt. Das ist wenig, mag man meinen, aber doch auch 2% zu viel. Um das zu verstehen, sollte man allerdings etwas von Zins- und Zinseszinsrechnung verstehen. Greifen wir also zur Tabellenkalkulation unseres Vertrauens und lassen uns mal den Wert von 100 Euro durchrechnen. Geben wir also zu einem bestimmten Zeitpunkt dieses Geld für bestimmte Produkte und Dienstleistungen aus, sind es – rein statistisch gesehen – nach einem Jahr 102 €, nach 5 Jahren 110 €, nach 10 Jahren 122 € und nach 35 Jahren 200 €.

Es braucht also eine gute Generation, um den Wert zu halbieren oder die Kosten zu verdoppeln, wie man das auch immer sehen will. Wofür wir noch 100 € bezahlen, bezahlen unsere Kinder 200 Euro und unsere Enkel 300 Euro (nach 55 Jahren). Urenkel, wenn sie denn früh kommen, sind mit 400 Euro dabei, wenn man denn mit 70 schon Urgroßeltern sein will. Anders herum kann man auch sagen: Jede(!) Geldanlage, die weniger als 2% Zinsen bringt, vernichtet Werte.