Prolog
Erinnerungen sind manchmal eine Lust, manchmal eine Last. Und ebenso manchmal hat man den Eindruck, es kommt alles irgendwie mal wieder, oder: das hatten wir alles schon einmal. Leser/-innen dieses Blogs, die sich schon etwas jenseits der 30 (zumindest kalendarisch) befinden und die schon immer irgendwo in Neufünfland gewohnt haben, werden sich an die großen Samstagabendshows im DDR-Fernsehen erinnern. Nationale und internationale Musik zur besten Sendezeit, das war was fürs Auge und fürs Ohr.
Ok, Fernsehen gab es, zumindest, was den Ton anging, nur in Mono. Die Technik war noch nicht so weit. Aber Radio war schon jahrelang in stereo, und so kam jemand auf die glorreiche Idee, die Musikshows parallel in beiden Medien zu verbreiten. Ähnlich wie bei den Videotextuntertitelungen heute wurde durch eine Texteinblendung darauf hingewiesen (“Stereoton auf Radio DDR 1” o. ä.). Und so war – zumindest für damalige Verhältnisse – der Genuss vollkommen, waren doch in den Wohnzimmern Fernsehgerät und Radioanlage meist sowieso kopositioniert. Irgendwann lernte das Fernsehen dann, Stereoton zu übertragen, da erübrigte sich die Parallelausstrahlung im Radio und wurde auch gelassen.
Radio geht ins Ohr, Fernsehen ins Auge.
Robert Lemke
Jedes Medium hat seine Eigenarten und Besonderheiten, seine spezifische Form und Nutzung, die sich nicht so einfach auf ein jeweils anderes Medium überführen lassen. Die Abfilmung eines regelmäßig umgeblätterten Harry-Potter-Romans zum am Fernseher oder im Kino selber lesen wird vermutlich nicht ganz so erfolgreich sein wie die entsprechende cineastische Umsetzung des Stoffs, der unter anderem davon lebt, viele Aspekte aus dem Buch wegzulassen. Andererseits würde der Ton der Fußballkonferenz im Radio als TV-Begleitton völlig genervte Zuschauer hinterlassen. Man muss nicht alles erzählen, was der Zuschauer sowieso sieht. Die Unterschiede zwischen der Betrachtung eines Films im Kino und auf dem Fernseher oder das Vorlesen einer Zeitung im Radio im Vergleich zum selbst Lesen mögen die bei weitem nicht vollständig illustrierenden Beispiele ergänzen.
Radio ist Kino im Kopf, Fernsehen ist Kino im Kasten.
Irgendwer hat mal sinngemäß gesagt: Fernsehen? Wenn man die Augen zu macht, ist es wie Radio. Als Fernsehkritik ist das gleichwertig mit der Äußerung, dass man beim Betrachten mancher Fernsehsendungen seine eingeschlafenen Füße beneidet. Etwa 80% aller Sinneswahrnehmungen nimmt der Mensch über die Augen auf. So ist das Fernsehen mit seinen Bildern hervorragend dafür geeignet, den Menschen zu erreichen. Beim Radio bildet der Hörer die Bilder selbst in seinem Kopf, die Aufarbeitung der Informationen erfolgt nach völlig anderen Regeln. Aber trotzdem gibt es immer wieder Versuche, beides crossmedial miteinander zu verbinden, koste es, was es wolle.
Seien es die erschreckenden Bilder von Fukushima, die beeindruckenden Bilder demonstrierender Menschenmassen oder einfach nur die Wetterkarte – all das verpufft bei der Übertragung einer Fernsehsendung im Radio. NDR 1 Radio MV, NDR info (also gleich zwei Sender im Land!), hr-iNFO, SWR cont.ra und Antenne Saar (laut: Programminfo) tun sich diesen zweifelhaften Luxus der Tagesschau an, der den Sinn des Mediums Radio konterkariert. Wobei nicht nur die alleinige Existenz der Radiofernsehsendung den Radiohörer stört. Als Fremdkörper kann man die Tagesschau im Radio allein am Klang erkennen. Wenn zum Beispiel NDR 1 Radio MV die Sendung überträgt, hat dieser Programmabschnitt einen völlig anderen Sound als das übrige Programm.
Da leistet es sich eine Senderfamilie wie der NDR, für jedes seiner Radioprogramme eigene Nachrichten zu produzieren, die auf das sie umgebende Programm abgestimmt sind (was positiv zu bewerten ist), und dann jeden Abend um 20 Uhr dieser Patzer. Man stelle sich mal die Nachrichten von NDR info bei N-Joy vor. Oder umgekehrt. Undenkbar.
Epilog
Natürlich hat auch der Beitrag eines Weblog seine spezielle Form, genau wie ein Podcast oder ein Video bei Youtube. Ich möchte mit einem Zitat entsprechenden Reaktionen vorbeugen, dass von Cicero über Goethe bis Marlene Dietrich verschiedenen Menschen unterstellt wurde: “Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich mich kürzer gefasst.”